Kommentar zur neuen Verordnung (EU) Nr. 650/2012 (Erbrechtsverordnung/EuErbVO)

Die neue Verordnung (EU) Nr. 650/ 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen, sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (Erbrechtsverordnung/ EuErbVO) ist nach einer Vorbereitungszeit von mehr als 10 Jahren am 16.08.2012 in Kraft getreten. Auch wenn mitgliedsstaatliches materielles Erbrecht, Verfahren und Erbnachweise ihre grundsätzliche Geltung behalten, so kommt der Verordnung dennoch wesentliche Bedeutung auf dem Gebiet des Erbrechts zu und sie ist ein weiterer großer Schritt in der Reihe der EU-Verordnungen zum IPR und zur Schaffung eines Europäischen Rechtsraumes.

Anwendungsbereich

Die EuErbVO gilt für alle Erbfälle in den Unionsmitgliedstaaten ab dem 17. August 2015 mit Ausnahme von Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich.

Als EU-Verordnung ist die EuErbVO nicht fakultativ neben den nationalen Rechtsordnungen anwendbar, sondern sie beansprucht als zwingendes Recht unmittelbare Geltung in jedem Mitgliedsstaat.

Anwendbar „auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen“, erstreckt sich der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung grundsätzlich auf alle erbrechtlichen Aspekte des Zivilrechts, wobei jedoch in Art. 1 Abs. 2  EuErbVO insbesondere die Bereichsausnahmen Steuer, Personenstand, dingliche Rechte und deren Eintragung in einem Register, grundsätzliche Fragen des Gesellschafts-, des Vereins- und des Rechts der juristischen Personen, die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Personen, eheliches Güterrecht, die Todesvermutung, Unterhaltspflichten und Formgültigkeit mündlicher Verfügungen von Todes wegen eine unmittelbare Regelung erfahren haben.

Hintergrund der neuen Regelung

Bis zur Geltung der EuErbV waren auf den Vollzug, die Abwicklung, und die Verwaltung eines Nachlasses die einschlägigen, sogenannten autonomen Kollisionsrechte der Mitgliedstaaten mit ihren unterschiedlichen Ansätzen anzuwenden.

Während bereits 10% aller Erbfälle in Europa einen grenzüberschreitenden Bezug  aufwiesen, waren diese Kollisionsrechte ganz unterschiedlich kodifiziert, ihre Anwendbarkeit knüpfte unter anderem und teilweise unter Zuerkennung eines Wahlrechtes an die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt an.

Dabei sind die verwendeten Rechtsbegriffe in ihrer Bedeutung ebenso inkongruent wie die Verfahrensordnungen, die Regelungen selbst sind oft nur schemenhaft ausgestaltet. Es kam zu Nachlassspaltungen und wechselseitige Entscheidungen wurden nicht anerkannt. Da die Anerkennung nationaler Erbnachweise im Ausland wegen ihrer Wirkungsdiversität kaum zu erreichen ist, musste man in jedem Staat, in dem ein Erbnachweis benötigt wurde, unter erheblichem Aufwand von Zeit und Geld das dortige Nachlassverfahren durchführen.

 Ziele und wesentliche Inhalte

Vor diesem Hintergrund wird mit der neuen EuErbVO das Ziel verfolgt, Nachlassplanungen und -abwicklungen zu vereinfachen und die erforderlichen Verfahren zu verkürzen.

Kern der Verordnung ist die Verbindung aus gewöhnlichem Aufenthalt und Rechtswahl als Anknüpfungspunkte für anwendbares Recht und Gerichtszuständigkeit: Anwendbares Erbrecht ist grundsätzlich das Recht des Staates, in welchem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist dabei in der EuErbVO nicht definiert und entsprechend den Erwägungen der Verordnung auszulegen. Er ist nicht identisch mit dem Wohnsitz des Erblassers, sondern vielmehr als Mittelpunkt seines zum Todeszeitpunkt gegenwärtigen sozialen Lebens zu verstehen.

Dem Erblasser bleibt allerdings das Recht vorbehalten, sein Heimatrecht (Recht des Staates seiner Staatsangehörigkeit) zu wählen, und zwar mit der ausdrücklichen Möglichkeit einer konkludenten Rechtswahl ohne erhöhte Beweisanforderungen.

Im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts, beziehungsweise im gewählten Heimatstaat mit Zustimmung der Nachlassbeteiligten, liegt gleichzeitig auch die Gerichtszuständigkeit.

Das anwendbare Recht gilt für den gesamten Nachlass, für Drittstaatsangehörige und gegenüber Drittstaaten, zu denen im Sinne der Verordnung auch Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich gehören. Auf dieser Basis erfolgt dann die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen.

Das neu geschaffene Europäische Nachlasszeugnis (ENZ) stellt eine besondere Errungenschaft für die Rechtsvereinfachung und –sicherheit dar:  Es wird in jedem Mitgliedstaat akzeptiert und bringt mit seinen eigenen, denen des deutschen Erbscheins vergleichbaren, materiell-rechtlichen Rechtsscheinwirkungen erhebliche Erleichterungen beim grenzübergreifenden Vollzug, sowie der Abwicklung oder Verwaltung eines in mehreren Mitgliedstaaten liegenden  Nachlasses.

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