Die vorläufige Vollstreckung eines Zivilurteils, d.h. beispielsweise bei noch laufendem Berufungsverfahren, kann für den Gläubiger ein wichtiges Mittel zur schnellen Eintreibung seines Titels darstellen. Vor allem in Zeiten der Wirtschaftskrise ist rasches Handeln angesagt, bevor der Schuldner eventuell zahlungsunfähig wird und der Gläubiger keinen Nutzen mehr aus dem erwirkten Urteil ziehen kann.
Die Regelungen des spanischen Zivilprozessrechts zur vorläufigen Vollstreckung im Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil (LEC) haben sich mit der umfassenden Reform aus dm Jahr 2000 grundlegend geändert und unterscheiden sich wesentlich von der deutschen ZPO:
Mit Blick auf die Sicherheitsleistung des Gläubigers wird dies besonders deutlich.
Art. 526 LEC sieht ausdrücklich vor, dass keine Sicherheitsleistung (caución) innerhalb der vorläufigen Vollstreckung zu erbringen ist. Damit nahm der Gesetzgeber ausdrücklich Abstand von dem bis zum Jahr 2000 gültigen Gesetzestext, der die Erbringung einer Sicherheitsleistung zwingend vorsah. Die spanische Legislative hielt sie jedoch für ein ungerechtfertigtes und schwer überwindbares Vollstreckungshindernis.[1] In Rechtsanwaltskreisen wurde die Änderung wohlwollend aufgenommen.[2] Gleichwohl wird auf die Nachteile für den Schuldner verwiesen: sofern das bereits vorläufig vollstreckte Urteil später aufgehoben wird und er seinen Anspruch auf Schadenersatz geltend machen möchte, trägt der Schuldner das Insolvenzrisiko des Gläubigers. Es fehlt also an einer Absicherung dieses Regressanspruchs.[3] Der Gesetzgeber nahm dieses Problem indes bewusst in Kauf, denn es sollten generell die unterinstanzlichen Gerichte gestärkt werden samt dem Vertrauen in ihre Entscheidungen und deren zwangsweiser Durchsetzung. Es wird argumentiert, dass die Aufhebungszahlen von Urteilen erster Instanz nicht so erheblich sind, als dass sie die Notwendigkeit einer generellen Absicherung des Schuldners begründen würden. Zudem sei das Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung seines wirksam erworbenen Titels zu beachten, das bei obligatorischer Sicherheitsleistung stark beeinträchtigt würde.
Ganz anders geht in diesem Fall der deutsche Gesetzgeber vor. Die ZPO unterscheidet in den §§ 708 und 709 zwischen verschiedenen Urteilsarten und knüpft an die mutmaßliche Bestandkraft der Entscheidung an. Die spätere Aufhebung eines Anerkenntnisurteils beispielsweise wird als relativ unwahrscheinlich eingestuft, da der Schuldner meist kein Rechtsmittel gegen ein von ihm erklärtes Anerkenntnis einlegen wird. Deswegen sind diese Urteile nach § 708 Nr. 1 ZPO ohne Sicherheitsleistung des Gläubigers vorläufig vollstreckbar. Dagegen ist Sicherheit zu leisten, wenn das Urteil – außerhalb eines Anerkenntnisses – auf einen Betrag von über 1250 € lautet, § 709 S. 1 ZPO und § 708 Nr. 11 Alt. 1 ZPO, und die Wahrscheinlichkeit der Anfectung durch den Schuldner zunimmt.
Im Ergebnis verdeutlicht das Erfordernis der Sicherheitsleistung die unterschiedliche Gewichtung in den beiden Ländern: während es in Spanien auf eine möglichst ungehinderte Durchsetzung aller Urteile Wert gelegt wurde, sehen die deutschen Regelungen ein ausdifferenziertes System vor, um Gläubiger- und Schuldnerinteressen gleichermaßen zu berücksichtigen. Die spanische Zivilprozessordnung vertraut dagegen auf die Richtigkeit der Entscheidungen und den ansonsten wenigen Fällen der Gläubigerinsolvenz, wenn ihn der Schuldner in Regress nehmen möchte.
Diese Überlegungen sollten bei der eventuellen Wahl des Gerichtsstandes beachtet werden.
[1] Gesetzesmotive Ley 1/2000, Absatz XVI.
[2] Asencio Mellado, in Gimeno Sendra (Hrsg.), Proceso Civil Práctico, 2010, art. 524-525, S. 1-206.
[3] Vázquez Iruzubieta, Comentario a la LEC, S. 855; Ramos Méndez, Enjuiciamiento Civil, 2008, S. 423 und Biete Ribas, La reversión de la ejecución provisional, 2006, S. 380, 440 (beide für Staatshaftung wegen gesetzgeberischem Unterlassen); etwas zurückhaltender: Ramosvallé, in Abogacía General del Estado, La nueva Ley de Enjuiciamiento Civil, 2000, S. 592, 593.